Reisebericht 25.09 – 13.10.2017. Besuch in Eastern Samar & Southern Leyte

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Es ist Samstag, der 23.09.17, die drei WEN-Mitglieder Alex, Jane und Peter machen sich auf den Weg in Richtung Philippinen in die Region 8. Wir wissen die Reise ist lang, doch unsere Vorfreude wieder in unsere ehemalige Region reisen zu können lässt die Zeit rasch vergehen. Nach nun fast zwei Tagen Anreise landen wir am Montag in Tacloban. Endlich angekommen nehmen wir uns die Zeit durch die City zu schlendern.

Es ist 4 Jahre her als der verheerende Taifun Haiyan die Stadt mit sich riss und nahezu komplett zerstörte. Wir sind umso mehr erstaunt, wie sich das Stadtbild in der Zwischenzeit verändert hat: „Eine Stadt wird Erwachsen“ beschreibt Peter die Szenerie. Einzige sichtbare Spuren des Taifuns sind das Mahnmal des Schiff-Bugs „Eva Jocelyn“ im Barangay 68 Anibong, welches sich durch die Sturmflut über mehrere Meter weit in die Stadt fraß und hunderte Häuser und Menschen unter sich begrub und die vielen neu erbauten Hotels in der Innenstadt von Tacloban. Um das Mahnmal herum zeigt sich im Grunde dasselbe Bild wie vorher: Barackensiedlungen und Armut. Die Landflucht hin zu den Städten ist wie zuvor das Mittel der Wahl für ein vermeidlich besseres Leben.

Wir schlendern weiter, saugen die Eindrücke nur so auf und vergleichen die Szene mit der aus der Vergangenheit. Um das Gefühl vollkommen abzurunden möchte sich Peter eine Zigarette anzünden. Und erst jetzt bemerken wir: kein einziger von den vielen herumwirbelnden Menschen raucht. Erst später erfahren wir, dass es seit einem Jahr ein Rauchverbot im öffentlichen Raum gibt. Das ist völlig neu und womöglich eine Auswirkung einer, um es milde auszudrücken, strengen Regierung. Nach dieser Erkenntnis beschließen wir in die Robinsons Mall zu fahren. Wir wählen standardgemäß die öffentlichen Verkehrsmittel, Jeepney, Multicap oder Tricycle. Die ca. 5 km lange Fahrt dauert sehr lange, Traffic Jam. An sich recht normal, doch was neu ist, sind die wahnsinnig vielen Autos. Keine Kleinwagen, SUV!!! Der Verkehr ist bereits jetzt kaum zu beherrschen. Nicht auszumalen wie es in einigen Jahren aussieht. Endlich angekommen gehen wie schleunigst in die Mall. Alex und Jane brummt der Schädel von all den Abgasen. Smog, SUVs, Verkehrschaos, Smoking Ban, das ist die neue Realität in Tacloban.

Am nächsten Tag reisen wir weiter nach Eastern Samar in die Provinzhauptstadt Borongan, Janes alter Wohnort. Die ehemals 5-stündige Fahrt hat sich auf 3,5 Stunden verkürzt. Grund ist der nach Haiyan neu ausgebaute National Highway entlang der gesamten Süd- und Ostküste – jetzt durchgehend asphaltiert. Zur unserer Freude können wir erkennen, dass sich die Kokosnuss-Palmen langsam erholen und neue wachsen. In Borongan angekommen merken wir schnell: Auch hier ist es zunehmend stressiger geworden. Als Hauptgrund machen wir den auch hier enorm angestiegenen Verkehr ausfindig. Deutlich mehr Autos als selbst vor einem Jahr und eine beinahe Tricycle-Plage. Zu unserem weiteren Erstaunen gibt es mittlerweile auch eine zweite Mall und eine große Auswahl an Hotels (vorher lediglich 3 anständige Unterkünfte, derweil um die 10).

Vor Ort treffen wir unseren Fußball-vernarrten Freund Kuya Ceasar. Seine vor 7 Jahren gegründete Eastern Samar Football Association – ESFA wächst und gedeiht prächtig und hat großen Zulauf von Jugendlichen aus ganz Eastern Samar. Wir besuchen die Fußballkids beim Training und kicken mit ihnen – just for fun.

Aber nicht nur in Sachen Fußball geht es in Eastern Samar und Borongan voran. Auch die immer bessere Verfügbarkeit von mobilem Internet macht sich bemerkbar. Während unserer Reise sind wir zwei Absolventen des Eastern Samar State College begegnet. Beide berichteten uns von ihrem großen Plan, eine eigene Cocktailbar eröffnen zu wollen. (Dies wäre vermutlich die erste Bar jenseits von Videoke/Karaoke in ganz Eastern Samar.) Da ihnen aktuell noch ein passender Ort fehlt, haben sie vorerst mit einer mobilen Bar begonnen, hinter der sie auf Fiestas, Geburtstagsfeiern, Hochzeiten etc. ihre Cocktails mixen. Auf die Frage, wo Sie über Cocktailrezepte sowie mit dem Mixen verbundene Stunts gelernt haben, war die für sie völlig selbstverständliche Antwort: Youtube. Im Übrigen sei es die größte Herausforderung mit dem örtlich verfügbaren Alkoholika internationale Rezepte zu mixen – aber an Ideen und Motivation mangelte es beiden mit Sicherheit nicht. Falls sich dieser neue Start-up Geist durchsetzt, können wir bei unserem nächsten Besuch also vielleicht bereits in der ersten Cocktail Bar Eastern Samars anstoßen.

Anschließend besuchen wir unseren Mentor Andy in Maydolong, Alex alten Wohnort. Andy kam als  Volunteer des VSO (Voluntary Services Overseas), einer britischen Entsendeorganisation, nach Maydolong. Er hat über viele Jahre gemeinsam mit der lokalen Verwaltung an Nachhaltigkeitsthemen, wie beispielsweise dem Erhalt von Mangroven, gearbeitet. Während unserer Zeit als Freiwillige war Andy die Kontaktperson des Deutschen Entwicklungsdienst (jetzt GIZ) Vorort. Andy lädt uns ein in seiner Pension im Zentrum von Maydolong zu übernachten und fährt mit uns gemeinsam in das Barangay Omawas, bekannt für seinen Strand und die mitunter guten Surfkonditionen. Natürlich erzählen wir Andy von unseren letzten Projekten und Aktivitäten mit WEN, aber auch von Neuigkeiten aus dem Leben unserer damaligen Mitfreiwilligen, die Andy ein Jahr begleitete. Wir verlassen Maydolong mit gemischten Gefühlen: Einerseits sind wir froh, dass es Andy dem Augenschein nach gut geht, andererseits wird uns auch bewusst, dass die Veränderungen, die wir während unserer Reise überall wahrgenommen haben, in den Dörfern doch etwas langsamer vonstattengehen.

Auf unserer Weiterreise Richtung Süden nach Salcedo und Guiuan, Peters altem Wohnort, machen wir Halt in Hernani. Das durch Haiyan 2013 nahezu zerstörte Dorf Hernani erstrahlt im neuen „Glanz“. Der Ort wurde einige Kilometer vom alten Zentrum versetzt komplett neu aufgebaut und erstreckt sich entlang des neuen National Highways. Nicht nur in Hernani, entlang der gesamten Küste sind mittlerweile engmaschig Warnschilder wie „Tsunami Prone Area“ und Hinweise und Wegweiser für Fluchtrouten und für Schutzräume zu finden. An vielen Strandabschnitten sind über Kilometer meterhohe Wellenbrecher aufgetürmt. Ein ins Auge stechendes Beispiel hierfür befindet sich in Lalawigan Beach in der Nähe von Borongan.

Eine weitere Neuheit, die auf den Reisen durch Eastern Samar vom neuen National Highway aus zu sehen ist, sind zahlreiche neue Siedlungen, beispielsweise in der Nähe von Basay. Diese würde man in Deutschland wohl am ehesten mit sozialem Wohnungsbau vergleichen. Dabei handelt es sich jeweils um mehrere Reihen von einstöckigen Reihenhäusern (mit jeweils etwa 10 Wohneinheiten) in entsprechend beengten Verhältnissen, oft deutlich entfernt vom nächsten Ortskern. Während viele dieser neuen Anlagen einen fertigen oder zumindest bewohnten Eindruck erweckten, waren andere noch Siedlungen noch nicht fertiggestellt. Hier wird sich zeigen, ob es sich um jeweils zeitliche begrenzte Unterbrechungen oder die Entstehung neuer Bauruinen handelt. Eine engere lokale Anbindung dieser neuen Siedlungen konnten wir in Guiuan im Barangay neben dem (zurzeit stillgelegten) Flughafen beobachten.

In Guiuan angekommen zeichnet sich ein ähnliches Bild wie bereits in Tacloban und Borongan ab. Der Verkehr ist enorm, Staus selbst im kleinen Guiuan sind zur Rush Hour an der Tagesordnung. Jeepneys, Multicabs und Vans werden zunehmend von PKW abgelöst, die Infrastruktur an ihren Kapazitätsgrenzen. Neue Hotels und Surf Resorts als auch Süd Samars erste Mall wurden nahe des Highways am Stadteingang eröffnet. Verschiedenste NGOs waren dort die letzten Jahre zugegen und haben über einige Zeit für komplette Auslastung gesorgt. Auf der Suche nach einer Wäscherei stellen wir fest, dass diese (die einzige in der Region) leider nicht mehr existiert und die Besitzer nach Haiyan nicht wieder eröffnet haben. Dafür lernen wir Francis kennen, den Besitzer eines Internet Cafes/Copy Shops. Er hat die letzten Jahre in verschiedene NGOs ausgeholfen und sich von dem ersparten seinen eigenen kleinen Laden finanziert und berichtet uns von seiner Arbeit und den Veränderung in Guiuan.

Die Folgen des Taifuns sind auch hier omnipräsent, Hinweisschilder zu Schutzzonen, Neubaugebiete und ein großes Baugerüst vor der zentralen Kirche am Marktplatz zeugen noch immer der verheerenden Schäden. Ein Treffen mit einer alten Bekannten, Susan, der Besitzerin der Tanghay View Lodge bleibt leider aus. Susan ist eine chinesische Geschäftsfrau, die seit über zehn Jahren in Guiuan lebt und ein Hotel als auch Supermarkt eröffnet hat. Nach Haiyan kam es zu Plünderungen, doch Susan stellte ihren großen Supermarkt samt Lebensmittel den Opfern des Taifuns kostenlos zur Verfügung. Ihr ehemals kleines Hotel hat sie derweil ordentlich erweitert. Des einen Freud, des anderen Leid.

Auf dem Weg nach Salcedo fallen einem sofort die ganzen Autos am Wegesrand auf. Garagen sind Mangelware. Vor wenigen Jahren konnte man in einem 6000 Einwohnerdorf noch an einer Hand abzählen, wer außer dem Bürgermeister ein anderes Fahrzeug als ein Tricycle besaß. Heute ist fast jeder städtische Angestellte im Besitz eines Autos. Die Anzahlung und Ratenkredite sind gering, der potentielle Verlust bei Arbeitslosigkeit hingegen enorm. Viele Hersteller buhlen um neu zu erschließende Märkte und subventionieren teils kräftig. So zeugt nun auch eine große Tankstelle, neben dem neuen „Chocks to go“, einer Fastfood Kette die sich auf Grillhähnchen spezialisiert hat, vom vermeintlich neuen Reichtum.

Peter trifft sich in Guiuan mit einer alten Freundin, Chato. Früher hat sie an der ESSU Salcedo, der lokalen Universität doziert, heute arbeitet sie im Führungsstab. Ein anderer alter Freund Paulo, ebenfalls ehemaliger Dozent der mittlerweile in Tacloban arbeitet, hilft ab und an noch im Planungsmanagement der ESSU seines Heimatdorfs aus. Seine letzte Amtshandlung war die Emanzipation der Fördergelder. Stammten diese bis vor kurzem noch zu größten Teilen aus privaten Töpfen und verschiedensten NGOs (auch WEN hat mit einem Brunnen und mehreren Stipendiaten geholfen), sind nun staatliche Quellen das Mittel der Wahl. Diese sind zeitlich meist unabhängiger und auf lange Sicht sicherer, ermöglichen damit eine zukunftsorientiertere Planung.

Dieses Jahr, vier Jahre nach Haiyan, wurde das Dach der großen Multifunktionshalle vor dem Rathaus endlich erneuert. Damals wurde es wie viele andere Dächer und Häuser vom Wind erfasst und mitgerissen. Es geht vorwärts, langsam, dafür teils überlegter als in der Stadt. Die Menschen machen den Unterschied.

In Quinapondan können wir es kaum erwarten Lorenzo und das neu erbaute kleine WEN-Plant Nursery & Distribution Center zu sehen. Wir treffen Lorenzo in der LGU Quinapondan und werden schon vom Bürgermeister erwarten, welcher uns zu einer kleinen Audienz lädt und uns freudig ein „Certificate of Appreciation“ für die Aktivitäten des WEN in und um Quinapondan überreicht. Anschließend fahren wir zur Plant Nursery, zelebrieren ein Small Opening mit Lorenzo, zwei Barangay Captains und einem Official vom Agriculture Department. Wir sind sehr angetan von der Schaffenskraft die Lorenzo in das Projekt gesteckt hat und auch noch stecken wird. Er ist noch längst nicht fertig und hat viele Ideen, wie das Projekt nachhaltig zu gestalten ist und wie er sein Barangay empowern und weiterbringen kann.

Bis auf Kleinigkeiten, wie Behälterboxen für Werkzeug und Geräte, sind die Arbeiten abgeschlossen. Mahagony, Jackfruit, Guyabano, Citrus (Kalamansi), Avocado, Tambis, Ornamental Plants und Mangroven Setzlinge sind bereits gepflanzt. Weitere Setzlinge werden nun angepflanzt, um für die geplante offizielle Eröffnung im Januar 2018 ausreichend Pflänzlinge der Bevölkerung zur Verfügung stellen zu können. Lorenzo berichtet, dass ein Setzling in etwa 2-3 Monate benötigt, um groß genug für eine Verteilung und Verpflanzung zu sein. Ihm schwebt vor, zukünftig Setzlinge von Ornamental Plants zu verkaufen, um damit einen Beitrag zur Deckung der laufenden Kosten der Plant Nursery zu leisten. Wir dürfen den Barangay Captains einige Setzlinge überreichen und werden noch zu einer Snacktime bei Lorenzo eingeladen. Wir sind sehr beeindruckt vom Verlauf und von der professionellen Organisation des Projektes und versichern Lorenzo selbstredend unsere weitere Unterstützung – sowohl für die Plant Nursery als auch für weitere Ideen in der Zukunft.

Letztes und weiteres wichtiges Ziel unserer Reise ist das Treffen mit ORC-Gründerin Grace in Silago, Southern Leyte. Anfang des Jahres haben wir mit ORC eine Kooperation geschlossen und konnten seitdem bereits erste Projekte starten, u. a. das Projekt „Organic Soil and Fertilizer Production“. Ziel des Projekts ist das Herstellen und Verteilen von organischem Dünger aus Pflanzenabfällen, die bisher meist in den frühen Abendstunden verbrannt werden. Zur Ausweitung dieses vielversprechenden Projekts suchen wir derzeit noch nach weiteren Förderquellen.

Grace lädt uns zu sich ins ORC ein, wo wir auch übernachten können. Es ist eine kleine Idylle, ein Landstrich zwischen Highway und Ozean. Ein kleiner Dschungel mit Nippa Huts (typische, offene Hütten mit Wänden aus Flechtwerk und Dächern aus Palmenblättern) als Office und Guest Rooms. Wir fühlen uns sofort entspannt und angekommen. Grace führt uns im ORC herum, erläutert ihre Arbeit und stellt uns eine der People Organisations (POs) namens Balikat („Schulter an Schulter“) vor, mit denen das ORC zusammenarbeitet. Balikat konnte sich mit Hilfe von ORC zu einem eigenständigen Verband entwickeln, produziert und vertreibt mittlerweile erfolgreich Seaweed unter strengen Nachhaltigkeits-Aspekten und trainiert andere People Organizations, beispielsweise in der Vermarktung lokal hergestellter Produkte.

Das ORC und die örtlichen People Organizations, die sich inzwischen zu einer Federation zusammengeschlossen haben, können inzwischen auch positiv auf die lokale Politik einwirken. So wurden auf ihr betreiben beispielsweise einige Marine Protected Areas geschaffen und der Bau eines umstrittenen „Leuchtturms“ auf einem ansonsten unbesiedelten Fels in der Bucht mit dem klingenden Namen Snake Rock gestoppt. Wir sind sehr beeindruckt von Graces Engagement und freuen uns enorm, dass wir sie als vertrauensvolle und kompetente Partnerin gewinnen konnten.

In weiteren Gesprächen stellt Grace uns zudem ein Programm namens COMSCA (Community Managed Savings and Credit Association) – Power to the people – vor. Eine COMSCA ermöglicht es den Mitgliedern sich von der Gemeinschaft kleinere Summen zu leihen, um damit wirtschaftlich aktiv zu werden. Alle Teilnehmer kaufen Anteile an einer COMSCA, woraus sich sowohl die Stimmberechtigung, beispielsweise bei gemeinsam zu treffenden Entscheidungen über die Vergabe eines Kredits, als auch die Einlagen ergeben, aus denen die vergebenen Kredite schließlich finanziert werden. Die regelmäßigen Mitgliedertreffen einer COMSCA bringen die Teilnehmer enger zusammen und helfen bei der Zusammenarbeit über die gemeinsame Vergabe von Microkrediten hinaus. Abläufe innerhalb einer COMSCA folgen immer gleichen Regeln, so ist die Aufbewahrungsbox für die Einlagen beispielsweise mit mehreren, an verschiedene Mitglieder vergebene Schlüsseln gesichert, damit niemand im Alleingang über die Einlagen der Gemeinschaft entscheiden kann.

Der Aufbau einer COMSCA kostet etwa 100€ sowohl für das notwendige Training, die Herstellung der speziellen Aufbewahrungsbox und die Begleitung der COMSCA. Dieses vielversprechende Konzept gibt es – nach unserem Wissensstand – aktuell noch nicht in Eastern Samar und könnte ein zukünftiges Projekt des WEN werden.

Neben der Projektarbeit gab es für uns auf dieser Reise zudem noch das erfreuliche Ereignis einer Hochzeit zweier Freunde. Wir möchten den beiden hiermit nochmals herzlichst gratulieren, uns für die beeindruckende Hochzeitsfeier bedanken und alles Glück der Welt wünschen.